Farben rufen gewöhnlich sinnliches Erleben hervor. Und dabei geht es nicht nur um das Sehen, auch das Riechen und Tasten kann angenehme Eindrücke hinterlassen. Die meisten modernen Produkte schaffen das nicht mehr oder wirken sogar negativ.
Mich faszinieren alte Handwerkstechniken schon sehr lange. Die Kenntnisse über Materialien, die geübte Hand, mit der die Arbeiten ausgeführt wurden, haben uns eine unendliche Fülle an wunderbaren Objekten hinterlassen. Bei dem Erleben von Farben spielen die Materialien eine große Rolle.
Fundgrube Skandinavien
Im skandinavischen Raum haben sich viele traditionelle Maltechniken und Produkte am Leben erhalten, die bei uns leider in Vergessenheit geraten sind. Die Instandhaltung vieler historischer Gebäude in Städten und Gemeinden, die die Kriege überdauerten, die Bewahrung alter Königshäuser mit ihren kleineren und größeren Schlössern haben dazu beigetragen, alte Handwerkstraditionen zu erhalten. Zusätzlich hat wohl auch die Naturverbundenheit der Skandinavier Anteil daran, dass dieses wertvolle Wissen um Materialien und Techniken nicht komplett verloren gegangen ist.
Vor Jahren bin ich auf die skandinavische Eitemperafarbe der Firma Av jord gestoßen. Die Farbe wird noch heute in Schweden hergestellt. Diese Eitempera ist so überzeugend in ihrer Einfachheit, dabei so schön in ihrer Ausstrahlung, ihrer Haptik, dass sie alle Sinne genauso anspricht, wie es Malerarbeiten ursprünglich vermochten.
Eitempera – eine der ältesten Farben der Menschheit
Eitempera kennt man seit dem Mittelalter. Oft wurde sie in Verbindung mit Leinölfarben angewendet. Hier nutzte man die unterschiedlichen Glanzgrade als dekoratives Wirkungsmittel. Imposante Beispiele dafür sind mittelalterliche Altäre. Hier stehen glanzvergoldete Verzierungen neben matten, farbstarken Eitemperaflächen und Gemälden.
Die Eitempera oder genauer Ei-Öl-Temperafarbe ist eine der ältesten Farben der Menschheit. Sie ist eine sogenannte Emulsionsfarbe bestehend aus Wasser, Ei, Leinöl und Pigment. Die Farbe wurde traditionell auf Flächen angewendet, die großem Abrieb ausgesetzt waren, so zum Beispiel auf Fußböden und Treppengeländern. Heute wird sie besonders als Wandfarbe oder als Farbe für Möbel und andere Holzgegenstände genutzt.
Eitempera wird ausschließlich mit Erdpigmenten oder mineralischen Pigmenten angerührt. Durch die kristalline Struktur der Pigmentkörner bricht sich das Licht vielseitiger und es geht damit ein beeindruckendes Spiel mit den Pigmenten ein. Die bemalten Flächen bekommen eine Lebendigkeit, die ihresgleichen sucht. Das Farbspektrum orientiert sich an den Jahreszeiten, dadurch ist eine Fülle von schönen und harmonischen Farbnuancen entstanden.
Eitempera – leicht herzustellen und einfach in der Anwendung
Darüber hinaus spricht diese Farbe auch durch ihre einfache Herstellung und Handhabung an. Schon bei der Herstellung entsteht der ganz persönliche Bezug. Die Farbe muss selber angerührt werden, jede Zutat ist damit ganz transparent und offen für den Anwender. Es sollten ökologische Materialien verwendet werden. So zum Beispiel unser schwedisches Leinöl von einem Biohof. Aber auch die verwendeten Eier, sollten möglichst ökologisch sein, da nur sie die nötigen Eigenschaften für eine gute Farbe mitbringen. Ei ist ein fantastisches Bindemittel und wird hier der notwendige Emulgator.
Die Anwendung des Volleies in der Farbenherstellung beruht auf uraltem Wissen. Das Protein im Ei macht die Farbe so abriebfest. Ei als Emulgator macht es möglich, dass Wasser und Öl miteinander eine Verbindung eingehen. Nach dem Verdunsten des Wassers entsteht eine wasserfeste Oberfläche. Vollständig ausgehärtet und fertig oxidiert, bildet Eitempera eine sehr robuste und widerstandsfähige Farboberfläche. Eine komplett durchgehärtete Eitemperafarbschicht ist nahezu wasserunlöslich.
Ein gut ausgeführter Untergrund ist entscheidend
Eitempera muss sehr dünn aufgetragen werden, wodurch sich Unebenheiten im Untergrund hervorheben. Daher ist eine gründliche und saubere Vorarbeit wichtig. Um einen ebenmäßigen und guten Untergrund zu erhalten, ist es ratsam die Fläche vorher mit einer speziellen Eitemperagrundierung zu behandeln. Die Grundierung und die Farbe sollte immer mit Pinsel und leichter Hand aufgetragen werden. Am besten eignet sich ein etwas breiterer Modler dafür. Man verteilt die Farbe mit drei vier Pinselstrichen, d.h. solange wie die Farbe leicht aus dem Pinsel fließt. Erst dann taucht man den Pinsel erneut ein.
Ähnlich wie beim Kalken arbeitet man sich kreuzweise vor. Mit leichter Hand geht es über bereits gestrichene und noch nasse Flächen, ohne lange daran zu arbeiten. Auf bereits gestrichener und „gesetzter“ Fläche sollte man nicht zurückgehen, da diese sonst nach dem Trocknen sichtbare Streifen hinterlassen. Die Farbe härtet durch chemische Oxidation, bereits nach einem Tag ist sie trocken. Die ganze Farbstärke kommt aber erst nach zwei bis vier Wochen zur vollen Entfaltung.
Ausgehärtet lässt sich die Oberfläche auch einfach polieren. Damit erhöht man deutlich den Glanzgrad, stärkt zusätzlich die Abriebstärke der Farbe und macht daraus eine dauerhaft schöne Oberfläche.
Av jord – Ein schwedisches Familienunternehmen
Av jord ist ein Familienunternehmen aus dem schwedischen Vekhyttan. Milis Ivarssons Leidenschaft für Farben begann vor 50 Jahren. In den 90iger - Jahren gründete sie mit Urban Kock die Firma Ovolin und die erste „Eitemperafabrik“ nördlich von Karlskoga entstand. Beide entwickelten die Eitempera weiter, um sie für moderne Untergründe anwendbar zu machen. So wurde die Farbe auch für professionelle Anwender attraktiv. 2005 gründete sie noch einmal eine Firma, das Familienunternehmen Av jord zusammen mit ihrer Tochter Frida Hafvenstein. Die beiden schrieben ein Buch über Erdpigmente und Eitempera, gleichzeitig entwickelten sie die Eitempera weiter.
Ihr großes Wissen über Pigmente und deren individuellen Eigenschaften, macht es ihnen möglich Eitemperafarben für fast alle Untergründe herzustellen und dabei ohne jegliche Zusätze von Chemie auszukommen. Sie beraten, halten Vorträge, geben Kurse und entwickelten das Konzept Färg i påse - eine trockene und fertige Pigmentmischung zum Anmischen einer Eitemperafarbe. Im Oktober letzten Jahres erhielt Milis Ivarsson den schwedischen Preis für Formträger (Svensk forms pris for formbärare). Sie wurde für Ihre jahrelange Forschung in der Farbenbranche mit Erdpigmenten und deren Anwendung in Eitempera ausgezeichnet. Der Eitempera von Av jord wird als wichtiger Beitrag zur Erhaltung unserer Umwelt und damit einer gesünderen Zukunft angesehen.